Ich habe einen Leinenpöbler
Aktualisiert am 19.05.2016„Leinen Sie Ihren Hund doch einfach ab, ist ja kein Wunder, dass der so aggressiv ist. Die klären das schon unter sich!“

Ich habe einen Leinenpöbler
Als Besitzer eines „Leinenpöblers“ kennt man diesen und andere Sätze. Und die verständnislosen und vorwurfsvollen Blicke.
Pino ist ein zweijähriger rumänischer Mischling und kam im März 2011 aus dem Tierschutz zu mir.
Als ich Pino mit 6 Monaten übernahm, fing er bereits an, andere Hunde anzubellen, angeleint und im Freilauf.
Je älter Pino wurde, desto schlimmer wurde sein Bellen. Tauchte ein Hund auf und wenn auch nur als winziger Punkt am Horizont, schnappte, knurrte, schrie und bellte er.
Mein sonst so aufmerksamer und gelehriger Hund war für mich nicht mehr ansprechbar.
Clickern – so macht das keinen Spaß
Ich clickerte… Anfangs habe ich einfach in sein Bellen geclickt, er reagierte scheinbar nicht. Und doch – nach wenigen Wochen hatte ich einen Hund, der sich kurz zu mir umorientierte und etwas später auch Futter annahm.
Ein Jahr lang blieben wir auf diesem Level: ich schaffte es, sein Bellen kurz zu unterbrechen…
Bellen – Click – Ruhe – Belohnung – Bellen usw.
Spaziergänge machten so keinen Spass mehr, immer öfter war ich frustriert und reagierte gereizt.
Körpersprachliches Drohen
Ich bin Pinos Verhalten nie mit Gewalt begegnet, aber ich habe versucht mich körperlichsprachlich durchzusetzen.
Sein Verhalten verschlimmerte sich dadurch nur noch. Ich musste also eine andere Lösung finden, da ich keine direkte Gewalt ausüben wollte.
Ich wollte einen Hund, der gerne mit mir arbeitet und mir vertraut.

Zeigen und Benennen
Das alles ist nun ein gutes halbes Jahr her. Heute suchen Pino und ich andere Hunde.
„Pino, wo ist der Hund?“ frage ich ihn, und er beginnt zu suchen.
Abwechslungsreiche Belohnungen
Hat er den Hund entdeckt, schaut er ihn sich ruhig an. Ich markere und belohne mit Futter oder einem tollen Spielzeug. Auch schnüffeln, zergeln oder sogar nach Mäuschen buddeln, setze ich als Belohnung ein.
Ich habe gelernt abwechslungsreicher zu belohnen und dieses „Spiel“ für meinen Hund spannend zu gestalten.
Entspannung
Neben diesem Spiel, das sich Zeigen und Benennen nennt, haben wir ein Entspannungswort aufgebaut.
Unser „Easy“ hilft Pino, in Situationen die noch sehr schwer für ihn sind, ansprechbarer zu werden.
Dieses Training hilft uns auch bei schwierigen Hundebegegnungen.
Geschirrgriff
Immer noch schwierig sind Situationen, wenn uns ein Hund zu nahe kommt und dabei sehr präsent ist.
Aber hier setze ich den Geschirrgriff, ein positiv auftrainiertes Abbruchsignal, ein.
Pino hat gelernt, sich bereits auf die Ankündigung des Geschirrgriffs (ich sage „Geschirr“) zurückzunehmen. So kann ich den Geschirr“griff“ auch auf Entfernung nutzen.
Intermediäre Brücke
Um nach einer solchen Maßnahme den Kontakt zu meinem Hund nicht zu verlieren, nutzen wir die intermediäre Brücke.
Nach einem Verhaltensabbruch, z.B. durch den Geschirrgriff, und entsprechender Belohnung bekommt Pino das Brückensignal: Goodie-Goddie-Goddie. Wir stehen so in direktem Kontakt und können ruhig an anderen Hunden vorbeigehen.

Management
Neben all diesen Werkzeugen versuche ich viele Situationen für meinen Hund grundsätzlich erträglicher zu machen.
Ich gehe möglichst große Bögen um andere Hunde oder weiche kurz aus, wenn mir ein Weg zu eng ist.
Ich bitte andere Hundehalter, ihren Hund ebenfalls anzuleinen und nicht zu uns laufen zu lassen. Sind wir zu zweit mit den Hunden unterwegs sind, schirmt einer von uns freilaufende Fremdhunde ab und schützt unsere eigenen Hunde vor ungewollten Kontakten.
Ich weiß was für ein Leidensdruck ein Hund bei seinem Begleiter verursachen kann, wenn er sich nicht „gesellschaftstauglich“ verhält.
Aber ich habe auch gelernt, wie viel Spaß eine gemeinsame Arbeit über positive Verstärker machen kann und welch tolle Ergebnisse über einen gewaltfreien Weg möglich sind.
Ich habe das große Glück, dass ich meinen Hund tatsächlich ableinen kann und dann überhaupt keine Probleme habe, weil sie sich gar nicht für den anderen Hund interessiert, bzw. kurz schnuppert und dann weiter läuft. Allerdings ist das auch oft schwierig zu vermitteln. Ich verstehe es, wenn mir jemand zuruft, bitte leinen sie ihren Hund an. Erwarte (leider ohne großen Erfolg) aber auch, dass mein Gegenüber akzeptiert, wenn ich das eben nicht mache. Kompromiss ist meistens, dass ich meinen Hund ablege und die anderen vorbei ziehen lasse.
Jutta, Du weißt, dass Dein Hund kein Interesse an anderen Hunden hat, und möglicherweise auch nicht auf einen anderen, angeleinten Hund zugeht. Das weiß Dein Gegenüber allerdings nicht. Und wenn der dann auch noch mit einem Leinenpöbler unterwegs ist, kann der schon ganz schön gestresst sein: „Oh je, hoffentlich kommt der andere Hund jetzt nicht näher!“ (Ich weiß, wovon ich schreibe) Deshalb bitte ich Dich, rufe Deinen Hund wenigstens zu Dir heran, Du brauchst ihn ja nicht anzuleinen.
@Kathrin: Hätte ich damals schon diese Werkzeuge gekannt, wären die Spaziergänge bestimmt viel entspannter gewesen.
Ich rufe eben „bitte leinen Sie doch Ihren Hund an“ weil mir „bitte sorgen Sie dafür das Ihr Hund Abstand zu meinem Hund hält und nicht auf uns zuläuft“ zu lang ist. 🙂 Ob jemand seinen Hund nun anleint, ranruft, abliegen lässt, im Fuß führt oder oder oder ist mir tatsächlich vollkommen egal. Ich will nur einfach keinen ungefragten Fremdhundekontakt und bitte darum das man seinen Hund nicht an unsere Hunde lässt. Leider ist es die Ausnahme das sich tatsächlich jemand bemüht seinen Hund mal anzuleinen o.ä.. So dass wir immer wieder doofe Erlebnisse haben.
Ohje, das kenne ich – gerade gestern Abend hatte ich auch so eine Begegnung.
Wir haben im Park Abschalttraining gemacht, ich saß auf ner Bank, meine Hündin daneben, alles relativ entspannt, bis eine Frau mit vermeintlich 2 unangeleinten Hunden kam.
Meine Hündin ist sofort nervös geworden und unter die Bank gekrochen, zum gänzlichen Ausweichen war es leider schon zu spät.
Ich bat die Dame, ihre beiden Hunde bitte zurückzurufen – „das ist nicht meiner!“ kam dann nur zurück, während besagter Hund bereits vor uns stand und ich abgeschirmt habe. Irgendwo weit dahinter schlenderte dann das dazugehörige Frauchen – völlig unbeeindruckt von meiner wiederholten (gerufenenen) Bitte.
Das andere Frauchen blieb dann auch noch mit ihrem Hund stehen und fragte nach dem Grund, weshalb ihrer nicht zu meiner dürfe. Ich hab also mein Sprüchlein aufgesagt: Hund isoliert aufgewachsen, Angst an der Leine, ICH wünsche KEINEN unkontrollierten Hundekontakt, erst recht dann nicht, wenn meine schon das Weite sucht.
Dann ging mittendrin das Belehren wieder los: „Was Sie ihrem Hund da antun, kein Wunder, wenn die dann gebissen wird, die muss das doch lernen…etc“…ich wollte nur noch vor Wut in die Bank beißen. Warum meint jeder, der die Geschichte meines Hunde nicht kennt, alles besser zu wissen und mich dann nicht einmal ausreden zu lassen, warum ich es genau SO wünsche und nicht anders…
Meine Hündin brauchte nach dieser Situation erstmal ne Viertelstunde, um wieder gut ansprechbar zu sein…nicht zuletzt natürlich, weil ich mich innerlich über diese Rücksichtslosigkeit wieder so aufgeregt hab…
Ich rufe meinen abgeleinten Hund auch ran, wenn ich fremden Hund-Mensch-Teams begegne und erwarte diese Rücksichtnahme auch von denen…
Ein sehr gelungener Beitrag zu einem Thema, das auch wir jeden Tag erleben und durchleben.
Jutta, es ist einfach ein Zeichen der Höflichkeit, seinen Hund bei Begegnungen, gleichgültig ob Mensch oder Hund anzuleinen.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft solch angeblich uninteressierten Hunde dann doch losgeschossen sind und dann hört frau den allseits beliebten Satz: „Das hat er ja noch nie gemacht!“.
Wenn jemand seinen Hund zu sich ruft und bei Fuß absitzen lässt, ggf. noch einen Finger ins HB hängt- dann ist das für mich kein Thema. Wenn der freilaufende Tutnix aber mehr als einen halben Meter von seinem Menschen entfernt ist, krieg ich Zustände. Denn: ICH habe einen Hund, der aus irgendeinem Grund die nettesten Hunde auf den Plan ruft. Auf Arthos sind schon etliche Male die „Das hat er ja noch nie gemacht!“ Hunde losgegangen! Und unser Leinenaggressionsproblem resultiert aus genau diesen Übergriffen!
Mittlerweile händel ich das ganz simpel. „Leinen Sie bitte an, oder ich leine ab!“ Das zeigt bei einem körpergespannten Dobermann durchaus Wirkung. Wenn nicht, tu ich, was ich sage- ich leine ab.
Super Artikel! Ich warne ja schon die Halter anderer Hunde vor, dass meiner im Spiel sehr grob werden kann. Wie oft höre ich da: Ach das muss meiner abkönnen. Wenn ich von vorn herein sehe, dass der andere das sicher nicht abkann, dann lass ich das Spiel auch nicht zu. Witzig ist dann, wenn die Leute merken WIE schnell und grob er sein kann….
Es ist ja so, Leinenaggression zeichnet sich dadurch aus, dass die Aggression (bzw. das reaktive Verhalten) sich nur angeleint zeigt. Insofern ist der Satz nicht ganz falsch (aber natürkich auch weit entfernt von richtig).
Alles andere ist dann einfach keinen Leinenaggression. Wenn also mein Hund abgeleint ebenfalls aggressiv reagiert, dann habe ich keinen „Leinenpöbler“ mehr.
Bei der Leinenaggression muss man zudem beachten, aus welchem Grund der Hund aggressiv reagiert.
Ich habe einen Tierschutzhund, der wirklich ausgerastet ist an der Leine, wenn frontal ein Hund in seine Wohlfühldistanz eingedrungen ist (es war absolut kein Problem, wenn hinter ihm ein Artgenosse war – oder weiter weg als drei Meter – diese Hunde hat er nicht einmal wahrgenommen!) – sobald er abgeleint war (und so weit es ihm möglich war, dadurch dem Kontakt aus dem Weg zu gehen bzw. zu deeskalieren), war das Problem verschwunden.
Er hatte eben irgendwann gelernt, dass er Hunde, die ihm an der Leine auf die Pelle rücken durch Aggression verscheuchen kann, er wurde nie aus der Situation genommen und so hat es sich ihn ihm zementiert.
Mein anderer Hund war nie aggressiv, schon gar nicht an der Leine. Auch ihn habe ich aus zweiter Hund, er war Hundekontakte gewöhnt, eben auch angeleint. Seit ich den Zweithund habe, gehe ich vielen Kontakten aus dem Weg (bzw. benutze Zeigen & Benennen): Nun hat mein nicht-leinenaggressiver Hund keine Kontakte mehr zu Hunden. Er wurde zunehmend frustriert und entwickelte nun ebenfalls eine Leinenaggression.
So nun stehe ich da. Der eine leinenaggressiv, weil er keinen Kontakt will – der andere weil er Kontakt will. An sich ist der Lösungsansatz der gleiche, nur eben mit unterscheidlichen Ersatzverhalten, was das Trainieren etwas schwieriger gestaltet.
Irgendwie bin ich abgeschweift. Ich wollte lediglich sagen:
Leinenaggression ist nur dann Leinenaggression, wenn die Aggression sich nur auf den angeleinten Zustand bezieht.
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